Novellen: Backlash

Backlash – Piraten in Somalia

Backlash – Erzählung eines somalischen Piraten

Endlich ist es so weit: Nach einigen Beiträgen in Anthologien und weiteren – verwirklichten und geplanten – Projekten nenne ich die erste kleine Novelle mein Eigen.

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Und worum geht’s?

Hanad wünscht sich nichts mehr als eine Zukunft jenseits von Armut und Trostlosigkeit. Als er und sein bester Freund die Gelegenheit erhalten, bei einer Piratenmannschaft anzuheuern und schnell zu viel Geld zu kommen, kann er der Versuchung nicht widerstehen. Doch damit gerät er in einen Strudel aus Angst, Gewalt und Gefahr, der jeden auf dem gekaperten Schiff mit sich zu reißen droht…

 

Leseprobe

Der Wind pfiff Hanad eisig ins Gesicht, kleine Gischttropfen auf seine Wangen sprühend. Heute Mittag war es brütend heiß gewesen, doch nun zog er fröstelnd die dünne Jacke enger um seine Schultern. Niemand auf dem Schnellboot sprach – es wäre auch kaum möglich gewesen einander zu verstehen, beim Röhren des Außenbordmotors und dem regelmäßigen Klatschen, wenn der Bug hart auf der Wasseroberfläche auftraf.

Neben dem ohrenbetäubenden Lärm war es zudem stockfinster. Ibrahim, der Boss, gleichzeitig auch ihr Steuermann, hatte aus gutem Grund eine Neumondnacht für ihr Unterfangen gewählt. Hanad hoffte bloß, dass der Mann wusste, was er tat und sie nicht in diesem Tempo mit einem der anderen beiden Boote kollidierten. Dann würde er hier draußen sterben, bevor es überhaupt begonnen hatte und niemand würde seinem Vater sagen können, wohin er verschwunden war. Denn hätte der gewusst, was er vorhatte, er hätte ihn niemals gehen lassen – bloß eine Tracht Prügel hätte Hanad bezogen, ungeachtet seines Alters, das wusste er genau.

Hanad schloss die Augen und versuchte sich abzulenken, doch seine Gedanken landeten erneut unweigerlich bei seinem Vater. Er war ein strenger Mann, mit sich selbst, mit Anderen und auch mit seinem jüngsten Sohn. Der hatte sich früher oft ungerecht behandelt gefühlt und es hatte häufig Streit gegeben, weil er weniger gedurft hatte als all die anderen Jungen, stattdessen unter der unbeugsamen Härte des Mannes zu leiden gehabt hatte. Erst später war dieser milder und das Verhältnis besser geworden, auch weil Hanad nun mehr Verständnis für seine Sorgen hatte. Nicht zuletzt, weil er mittlerweile einige davon teilte.

Ihre Väter, Onkel oder Brüder hatten den anderen Jungen Schießen beigebracht, wenn sie eine Waffe besaßen – seiner dagegen hatte ihn geohrfeigt, als er einmal eine verrostete Pistole daheim angeschleppt hatte. Farah, sein ältester Freund, hatte ihn dann später mit in die Berge genommen, um dort mit der AK seines Cousins auf Dosen zu schießen. Hanad hätte es später nie offen zugegeben, aber eigentlich war das Gefühl überhaupt nicht cool gewesen, eher unheimlich.

Auch als die riesigen Fässer am Strand angespült worden waren und das halbe Dorf losgezogen war, um sie zu begutachten, hatte sein Vater ihm verboten mitzugehen. Die Fässer seien von den Weißen und den Männern aus China, sie stopften ihre Gifte und Krankheiten hinein, um sie im Meer zu versenken und so loszuwerden, erklärte er ihm. Deswegen hätten sie dort keine Krankheiten. Hanad war schon alt genug gewesen, um am Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu zweifeln, doch er hatte trotzdem gehorcht und die riesigen, korrodierten Büchsen nur aus der Ferne betrachtet. Wie überdimensionale Eier lagen sie harmlos im Sand, kaum vorstellbar, dass sie irgendetwas Schreckliches beinhalteten. Doch zwei Tage darauf waren die ersten Menschen im Nachbardorf krank geworden, entstellt von heftigem Ausschlag, geschüttelt von Fieber und Brechdurchfall und nicht wenige kurz darauf tot. Da war er sich dann doch nicht mehr so sicher, ob sein Vater nicht Recht gehabt hatte.

Am Horizont hob sich eine vage Silhouette ab, die noch schwärzer zu sein schien als der Rest. Nur ein Schemen im Licht der wenigen Sterne, der größer und größer wurde, je näher sie kamen. Ibrahim drosselte das Tempo, der Motor erstarb, nun glitten sie nur noch lautlos auf den Giganten zu. Bald ragte er übermächtig vor ihnen auf, den Himmel fast vollständig verschluckend. Als hätte sich einer der Berge hinter dem Dorf eine neue Heimat gesucht und an diesem Platz niedergelassen, um ihnen nun die blanke, undurchdringliche Felswand darzubieten. Hanad hatte noch niemals ein so gewaltiges Schiff aus der Nähe gesehen und ihm rutschte das Herz in die Hose – worauf hatte er sich da nur eingelassen? Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

 

Was bedeutet der Titel?

Grob ausgedrückt ist ein „Backlash“ eine Rückentwicklung in vorherige, gesamtgesellschaftlich zumeist als schlechter erachtete Bedingungen oder auch nur die entsprechende Bestrebung. Häufig geht es um das Zurücknehmen von Rechten bestimmter Menschengruppen oder Minderheiten. Diesbezügliche Bewegungen gab es beispielsweise im Rahmen der Anti-Feminismus-Bewegung, ebenso wie Versuche der amerikanischen Neuen Rechten und weiteren Akteuren, die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung zu untergraben. Im Falle dieses Buches bezieht sich der Ausdruck auf gleich zwei scheinbar überwundene Übel der Weltgeschichte: Kolonialismus (beziehungsweise Neokolonialismus) und Piraterie.

 

Hintergründe

Warum war es mir wichtig, darüber zu schreiben? Warum ist das Thema Piraterie in Somalia überhaupt interessant?

Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends gerieten Somalia und seine Meere immer wieder in die Schlagzeilen. Nicht aufgrund der ständig schwärenden Bürgerkriege und des Terrors. Auch nicht wegen des extremen Hungers, der zwischen 2010 und 2013 mehr als eine Viertelmillion Menschen das Leben kostete. Von Interesse waren die sich mehrenden Überfälle durch somalische Piraten auf Schiffe in und vor ihren Hoheitsgewässern.

Diese wurden ausgeraubt oder samt ihrer Besatzung als Geiseln genommen, um Lösegeld zu erpressen. Um das zu verhindern, wurden seit 2011 verschiedene militärische Missionen ins Leben gerufen, die die Piraterie bekämpfen und die Schiffe schützen sollten. Dabei wurden Schiffe unter dem Kommando unterschiedlichster Länder eingesetzt – Schnellboote, Fregatten, Aufklärer und Zerstörer. Im Zuge dessen wurden die Piratenangriffe bis zum Jahre 2015 auf Null reduziert, zehn Piraten vor einem internationalen Gericht verurteilt und eine nicht näher bekannte Anzahl getötet.

Als Ursache für die Piraterie wird im Allgemeinen die Abwesenheit einer stabilen, funktionalen Regierung in Somalia betrachtet, die das Treiben hätte beenden können. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Seit 1991 nutzen Fischereiflotten diverser Staaten die Tatsache, dass Somalia sein Seerecht nicht durchsetzen kann, auf mehrere Arten. Dazu gehört vor allem das Hochseefischen in gewaltigen Ausmaßen – denn ausgerechnet vor Somalia liegen hervorragende Fischgründe. Diese bildeten nahezu die einzige wirtschaftliche Grundlage für die ansonsten extrem armen und kargen Wüstenregionen im Süden des Landes. Tatsächlich übersteigt der Wert des aus somalischen Gewässern entnommenen Fischs den der an Somalia geleisteten Entwicklungshilfe bei Weitem – netto macht das Land also Verlust. Und das bei einem Bruttoinlandsprodukt, das geschätzt bei 400 US-Dollar im Jahr pro Kopf liegt.

Ein zusätzliches Problem stellt die illegale Verklappung von Giftmüll und Atommüll vor der Küste dar. Eine unbekannte Zahl Fässer mit ebenfalls unbekannten Stoffen korrodiert am Meeresgrund und wird bei Stürmen und Beben zunehmend beschädigt. Bereits bei stichprobenartigen Untersuchungen wurden mehr als neun Lagerstätten gefunden. Bei mehreren Gelegenheiten wurden diese Substanzen angespült und führten umgehend zu erheblichen Gesundheitsproblemen bei der Bevölkerung. Auch ein unerklärlicher Anstieg an Krankheiten und Missbildungen, speziell in den Küstenregionen, wird mit diesem Umstand in Verbindung gebracht.

Nun sollte man meinen, dass militärische Missionen und eine juristische Aufarbeitung allen Betroffenen helfen könnten: Piraten könnten abgeschreckt und gegebenenfalls vor Gericht gestellt, weitere Geiselnahmen verhindert werden. Gleichzeitig könnten die Betreiber illegaler Fischereiflotten daran gehindert werden, die somalischen Fischbestände auszubeuten, und die Verantwortlichen der letzten Jahrzehnte ermittelt und bestraft werden. Dasselbe gilt natürlich für die illegale Entsorgung giftiger und radioaktiver Stoffe. In beiden Fällen könnten Schadensersatzzahlungen den betroffenen Menschen vor Ort helfen, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen zu bewältigen. Das könnte auf Dauer auch für mehr Sicherheit auf See sorgen, denn – ganz lapidar ausgedrückt – wer weniger verhungert, hat weniger Interesse daran, kriminell zu werden. Diese Maxime gilt nicht nur in Somalia, sondern überall auf der Welt.

Leider findet eine Beseitigung der Missstände in genannter Weise jedoch nicht statt – ganz im Gegenteil. Zwar haben sich alle militärischen Missionen die Bekämpfung der Piraterie auf die Fahnen geschrieben, jedoch ausschließlich die illegalen Aktivitäten somalischer Akteure, nicht die aller anderen Länder. Weder ist vorgesehen, dass illegal fischende Trawler aus den Gewässern vertrieben, noch ihre Besatzungen verhaftet werden. Auch die Verantwortlichen für die in der Vergangenheit begangenen Verbrechen werden weder aktiv ermittelt noch zur Rechenschaft gezogen. Eine wie auch immer geartete Zahlung von Schadensersatz ist ebenso wenig vorgesehen. Dasselbe gilt für die Fälle illegaler Giftmüllverklappung und die darauffolgenden Schäden – eine Ermittlung und Bestrafung der Verursacher ist weder zurzeit noch in Zukunft vorgesehen.

Stattdessen finden sich ständig bis zu 700 ausländische Schiffe gleichzeitig in somalischen Gewässern, die sie unter dem Schutz der Militärmissionen weiterhin illegal befischen. Einheimische Fischer berichten, dass sie selbst oft mit rabiaten Methoden vertrieben oder sogar beschossen werden. Selbstverständlich rechtfertigt auch das weder Entführung noch Geiselnahme. Zum einen, weil die meisten Piraten keine Fischer sind, zum anderen, weil ein Unrecht nicht das andere aufwiegt. Der Unterschied in diesem Fall ist jedoch, dass nur ein Unrecht verfolgt und bestraft wird. Und das, obwohl sich somalische Fischer schon vor knapp zehn Jahren hilfesuchend an die UN wandten und von den intensiven Eingriffen in ihre Gewässer berichteten. Im Gegensatz zu der von westlichen und asiatischen Akteuren beklagten Piraterie führte diese Tatsache jedoch zu keiner einzigen militärischen Maßnahme.

Warum nun darüber schreiben? Obwohl schon länger bekannt, ist die Problematik nicht gerade in den Augen der Weltöffentlichkeit geblieben. Interessant war Somalia nur, solange spektakuläre Bilder von vermummten Piraten mit erhobenen Raketenwerfern veröffentlicht werden konnten, oder wenn sich westliche Länder vermeintlich von Terrorismus bedroht sahen. Mutige Kapitäne und von Erschöpfung gezeichnete Besatzungsmitglieder wurden interviewt, Spielfilme gedreht und Bücher geschrieben – allerdings fast ausschließlich aus westlicher Perspektive. An dieser Stelle hat es mich gereizt, zumindest den Versuch zu wagen, durch andere Augen zu blicken. Daher habe ich mit der Geschichte „Backlash“ eine Entführung aus Sicht eines jungen Somaliers geschrieben – ob mir das gelungen ist, muss jeder Leser selbst entscheiden.

 

Quellen:

http://www.deutschlandfunk.de/somalische-piraten-das-geschaeft-ist-sehr-riskant-geworden.799.de.html?dram:article_id=372443

https://web.archive.org/web/20080712035522/http://www.unep.org/depi/programmes/Somalia_Final.pdf

http://www.lexas.biz/laenderlexikon/somalia.aspx

http://www.fr.de/politik/hungersnot-in-somalia-258-000-menschen-verhungert-a-715015

http://diepresse.com/home/ausland/welt/431803/Illegale-Fischerei-profitiert-von-EUEinsatz-am-Horn-von-Afrika-

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/somalische-piraten-reiche-beute-arme-fischer-a-594302.html