Die sogenannten Schottergärten – Freiflächen rund ums Haus, die mit Steinen versiegelt sind – erhitzen schon lange die Gemüter. Gemeint ist normalerweise nicht der Hauptgarten, der sich seitlich oder hinter dem Wohnhaus befindet, sondern ein deutlich kleinerer Vorgarten. Etwa 15 Prozent dieser Anlagen sind durch Kies oder größere Steine versiegelt. Wie viele Schottergärten sich hinter Häusern befinden, bleibt unklar, allzu viele dürften es jedoch nicht sein: Selbst rund zwei Drittel der Besitzer von Schotter-Vorgärten lehnen dieses Konzept im Hauptgarten ab. Warum also die Aufregung?
Ökologie ist nicht Ästhetik
Ganz klar: Die Umwelt ist in Gefahr. Auf Schotter wohnen keine Bienen, allzu viele andere Insekten auch nicht. Das Insektensterben wurde hinreichend problematisiert, ein Verlust von Artenreichtum unter den Sechsbeinern hat gleichzeitig Auswirkungen auf alle anderen Ökosysteme. All das ist in zahllosen Studien sorgfältig belegt worden. Zudem heizen sich Steine in der Sonne stärker auf und strahlen auch länger Wärme ab, was im Stadtklima unerwünscht ist. Auch das sind unwiderlegbare naturwissenschaftliche Fakten.
Das Problem ist, dass nichts davon irgendeine logische und vor allem nachweisbare Beziehung zu Schottergärten hat. Die meisten Vorgärten messen nur wenige Quadratmeter. Auch wenn sie begrünt sind, bedeutet das oft lediglich das Vorhandensein einer kurz gestutzten Wiese mit einer Umrahmung aus Wacholder, Thuja oder Buchsbaum – pflegeleicht und ordentlich. Die Artenvielfalt hält sich stark in Grenzen. Selbst wenn bienenfreundliche Stauden und eine winzige Mischwiese gepflanzt werden – ganz sicher sind hier keine bedrohten Spezies zu finden.
Ähnlich sieht es mit der vermeintlichen Wirkung auf das Stadtklima aus: Warum sollten ausgerechnet diese paar Quadratmeter einen so bedeutsamen Einfluss haben? Bedeutsamer als der Gehweg und die Straße davor, die Garagenzufahrt, das Haus dahinter? So schreibt der Nabu beispielsweise: „Für das Stadtklima wird die Zunahme an Kies- und Steingärten zum Problem, vor allem, wenn zusätzlich notwendige Kaltluftschneisen durch neue Bebauungen wegfallen.“
Kaltluftschneisen führen kühlere Luft aus Stadtrandgebieten ins Stadtinnere. Das wiederum heizt sich durch die starke Versiegelung und Häuserschluchten schnell auf, weshalb eine Zufuhr enorme Bedeutung hat. Ein Beispiel für die Bebauung einer solchen Kaltluftschneise findet sich beispielsweise in Köln im randständig liegenden Stadtviertel Sürth. Das dort regulierend wirkende sogenannte Sürther Feld misst immerhin 300.000 m² und wird nach und nach mit mehr als 1000 Wohneinheiten bebaut. Um eine ähnliche Versiegelung zu erreichen, müssten – eine durchschnittliche Größe von 6 m² angenommen – gut 50.000 Vorgärten geschottert werden. Und dabei handelt es sich nur um ein einziges Bauvorhaben. Schon die bloße Idee, diese Größenordnungen mit in winzige Flächen zerteilten, vollständig künstlichen und ökologisch verarmten Vorgärten gleichzusetzen, scheint vollkommen absurd.
Warum also wird diesem vermeintlichen Problem überhaupt so viel Aufmerksamkeit gewidmet?
Eine Handvoll Quadratmeter als Politikum
Die Antwort ist einfach und hat nicht das Geringste mit Ökologie oder Umweltschutz zu tun: Schottergärten sind hässlich. Schottergärten anzuprangern ist einfach. In nahezu allen Landesbauordnungen lassen sich mittlerweile Gesetze finden, die die Entwicklung von Schottergärten „eindämmen“ sollen. Eine Faktenbasis, einen wissenschaftlichen Hintergrund dazu gibt es nicht. Ebenso wenig wie Studien über die Auswirkungen der Verbote – schon weil bereits im Vorhinein klar sein dürfte, dass die Ergebnisse die vorgebrachten Argumente nicht unterstützen werden. Symbolpolitik in Reinform.
Ein Ziel wird trotzdem erreicht, denn egal ob Behörde, Partei oder private Initiative – es wird signalisiert, mit dem Verbot einen Beitrag zum Umweltschutz geleistet zu haben. Das ist besonders deshalb attraktiv, weil die allermeisten Bürger Schottergärten ohnehin abstoßend finden (und deshalb auch keine haben). Dass von einem solchen Verbot keine messbare positive Wirkung auf Umweltprobleme ausgeht, ist nicht von Belang. Dabei sind die Ursachen für die genannten Probleme nicht einmal sonderlich geheimnisvoll: Insekten leiden unter dem Verlust der Lebensraumdiversität, unter landwirtschaftlicher Monokultur und dem Einsatz von Pestiziden. Das Stadtklima leidet unter der Anlage von Neubausiedlungen auf Grünflächen in den Außenbezirken, Häuserschluchten durch zu hohe Bebauung, zu kleinen innerstädtischen Grüngebieten und zu wenigen Straßenbäumen.
Verbote statt Lösungen
Warum aber werden Maßnahmen beschlossen – und beklatscht –, die so offensichtlich an der wissenschaftlichen Realität vorbeigehen? Die traurige Wahrheit ist, dass die Ursache-Wirkungsbeziehung bei der Entwicklung von Gesetzen oder Initiativen keine Rolle spielt. Und das vielleicht am allerwenigsten im Umweltschutz. Wichtig ist einzig, ob es schnell geht und damit den Eindruck rascher Erfolge verspricht, ob es kostenlos ist und ob es im Sinne des angesprochenen Klientels ist. Die meisten Wähler empören sich über Schottergärten? Hervorragend – ein Verbot kostet nichts. Straßenbäume pflanzen und pflegen schon. Stadtentwicklungspläne, die andere Lösungen als Neubau zur Beseitigung des Wohnungsmangels finden, sogar noch mehr.
Sowohl in der politischen als auch in der gesellschaftlichen Debattenkultur scheint die Fähigkeit, differenzierte Lösungen zu finden – oder überhaupt Lösungen zu finden –, verloren gegangen. Diese Ansätze ebenso wie Kompromisse werden zunehmend durch den einfachsten Weg in Form eines Verbots ersetzt. Das bedeutet natürlich nicht, dass jedes Problem ohne ein Verbot lösbar oder jedes Verbot automatisch falsch ist. Es sollte sich jedoch einerseits auf wissenschaftliche Fakten stützen und andererseits immer das letzte Mittel im Umgang mit einer Herausforderung darstellen. Besonders besorgniserregend daran ist, dass die dahinterliegende Argumentations-Strategie bislang in erster Linie von Bewegungen aus dem rechten Spektrum genutzt wurde: Ein Umstand mit Potenzial zu möglichst großem Konsens wird isoliert herausgepickt, aufgebauscht und eine schnelle, effiziente Lösung präsentiert – der Eindruck des durchgreifenden, effizienten Machers entsteht. Auf die Art kann Zustimmung gewonnen werden, wo sonst kritische Distanz gewahrt würde.
Widerstand ist in unserer entsolidarisierten Gesellschaft nicht zu erwarten, denn jeder setzt sich blind nur für seine eigenen Bedürfnisse ein. Alles andere versinkt in Gleichgültigkeit oder moralinsaurem Pseudoengagement. Trifft ein Tempolimit vor allem Berufskraftfahrer, applaudieren Autobahn-Wenignutzer. Treffen Maulkorb- und Leinenpflichten Hundebesitzer, freuen sich alle anderen über die vermeintliche Zunahme an Sicherheit. Ruiniert ein totales Rauchverbot kleine Kneipen, nicken Menschen wohlwollend, die sowieso nie eine Kneipe besuchen. Damit ist nicht gesagt, dass all das per se falsch ist. Doch es spielt schlichtweg keine Rolle, ob auch bessere, differenziertere oder weniger radikale Lösungen möglich wären. Geschweige denn, wie groß der positive Effekt des vorgeschlagenen Verbots tatsächlich ist.
In vielen Bereichen hat diese Methode Einzug gehalten – wenn es etwa um die Einführung von E-Mobilität oder das Tempolimit geht. Würde kostenloser und gleichzeitig ausgebauter Nahverkehr auch auf dem Land nicht mehr zum Klimaschutz beitragen und gleichzeitig mehr Menschen einen Nutzen bringen? (Je nach Studie, Ort und konkreten Bedingungen sanken die Autofahrten zwischen 3 und 50 Prozent.) Würde der konsequente Einsatz von Rüttelstreifen vielleicht einen ebenso großen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten wie ein Tempolimit, ohne dass sich jemand eingeschränkt fühlt? (In den Niederlanden sank die Zahl der Verkehrstoten nach Einführung um rund ein Drittel.) Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vor allem aber würden diese Lösungen Geld kosten, Zeit benötigen und oft nicht primär die eigene Interessengruppe begünstigen. Dafür wären es echte Lösungen, die weniger Verlierer hervorbrächten.
Quellen u. a.
https://rettet-den-vorgarten.de/bgl-neue-studie-zu-vorgaerten-vorgestellt/
https://idur.de/wp-content/uploads/2020/10/2020-Sonderdruck-Schotterg%C3%A4rten-SB-222.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Schottergarten
http://www.bund-rvso.de/insektensterben-quellen-studien-ursachen.html
https://www.science.lu/de/faktencheck-gratis-oepnv/was-bringt-kostenloser-oeffentlicher-transport