Als ich den Titel „Eine umstrittene Steuersenkung“* bei web.de gelesen habe, hatte ich gehofft, es ginge um die Bestrebung der aktuellen Regierung, Reiche noch ein bisschen reicher zu machen. Tut es aber nicht: Der Autor Fabian Hartmann arbeitet sich stattdessen auf fragwürdige Weise am geplanten neuen Mehrwertsteuersatz für Gastronomen ab. Der soll nämlich von 19 % auf 7 % sinken, wie es schon während Corona der Fall war. Warum das umstritten sein soll, war mir weder vor noch nach dem Lesen des Artikels klar. Vielleicht auch, weil ich vermutlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten ausgerechnet mit der CSU auf Linie bin und das Ganze für eine hervorragende Idee halte.
Klientelpolitik vs. faire Chance
Als passionierter Kneipengänger unterhalte ich mich viel mit Gastronomen aller Art – die wirtschaftliche Lage ist dabei besonders seit Corona Dauerthema. Restaurants und Cafés, vor allem aber Bars waren die ersten, die schließen mussten, und die letzten, die öffnen durften. Die „Coronahilfen“ reichten nicht einmal für die Laufkosten. Wer das Pech hatte, im Jahr vorher eröffnet zu haben, bekam gleich gar keine. Die Regeln waren oftmals derart kompliziert, dass sie das Ordnungsamt selbst nicht verstand, geschweige denn Wirte oder Gäste. (Darf da jetzt ein Billardtisch hin oder nicht? Geht die Fläche hinter der Theke in die Berechnung der erlaubten Gästezahl ein?) Viele Inhaber opferten in der Zeit nicht nur sämtliche Rücklagen, sondern auch private Ersparnisse, um wirtschaftlich zu überleben.
Danach wurde es besser – aber nicht viel. Das Rauchverbot bedeutet für viele Wirte weiterhin Ärger, denn laute Gäste draußen rufen Anwohner auf den Plan. Während das Personal jedoch auf der öffentlichen Fläche des Gehsteigs keine Weisungsbefugnis hat, wird es vom Ordnungsamt trotzdem für den Lärm „ihrer Gäste“ verantwortlich gemacht. Die Kosten für Sportübertragungen sind derart in die Höhe geschossen, dass viele Läden das gemeinsame Fußballgucken abschaffen mussten. (Zur Transparenz: Die Rede ist von bis zu 1500 € – und zwar pro Monat!) Für die Anbieter lohnt sich das trotzdem, denn so winken mehr Abonnements von Privatkunden. Gestiegener Mindestlohn, Energie-, Lebensmittel- und Bierpreise sorgen für zusätzliche Belastungen. Klar, unter all diesen Punkten ächzen viele Branchen – aber keine kann gleich alle auf einmal für sich verbuchen!
Im Artikel darf ausgerechnet der Ex-Berater von Porsche-Lindner, Lars Feld zu Wort kommen und von „Klientelpolitik“ fabulieren. Spannend, dass er solche Worte nie in den Mund nahm, wenn es darum ging, beispielsweise energieintensive Industriezweige beim Strompreis zu entlasten. Vielleicht liegt es aber auch genau daran, dass der eine oder andere Politiker Probleme hat, Klientelpolitik von Realitätsbewusstsein zu unterscheiden. Sonst könnte man meinen: Besonders belastete Branchen benötigen besondere Entlastungsmaßnahmen, dazu gehören eben auch Steuersenkungen.
Ganz besonders absurd: Lieferessen wird schon immer mit lediglich 7 Prozent Mehrwertsteuer belastet – obwohl es schlechter für die Umwelt ist. Auch das weite Feld sogenannter Grundnahrungsmittel wie Getreideprodukte, Backwaren, Milch und Milcherzeugnisse, Fisch, Fleisch, Eier, Obst und Gemüse werden generell mit 7 Prozent besteuert. Die Steuersenkung für die Gastronomie wäre also mitnichten die Ausnahme, als die sie dargestellt wird, sondern ganz im Gegenteil lediglich das Ende einer ungerechten Sonderbesteuerung. Ob es sinnvoll ist, dass davon auch Mega-Ketten profitieren, ist eine andere Frage. Würde es allerdings tatsächlich darum gehen, ließe sich das Problem mit einem Umsatz-Deckel bei der Steuererleichterung lösen.
Wer profitiert?
„Mehr als fraglich, ob die Ersparnis überhaupt bei den Gästen ankommt“, mokiert die Linken-Chefin Ines Schwerter und zeigt damit ein grandioses Missverständnis auf:
Die Steuersenkung soll nicht bei den Gästen ankommen, sondern eine überlastete, stiefmütterlich behandelte Branche unterstützen. Wer sich zwölf Stunden hinter der Theke die Beine in den Bauch steht oder abendlich acht Kilometer als „Tellertaxi“ läuft, sollte nicht beständig um seine Existenz fürchten müssen. Hier kann das Gesetz helfen. Die Ersparnis kommt in dem Fall durchaus bei den Gästen an: Ihre Lieblingsrestaurants, Wohlfühlcafés und Eckkneipen bleiben erhalten – wenigstens ein Schritt gegen das Gastronomiesterben ist getan. Anstatt Wirtschaftsweise und Politiker zum Gespräch zu bitten, lohnt es sich, mit den Wirten und Wirtinnen selbst zu reden.
Ein Bekannter von mir hat seine Kneipe, eine Traditionsgaststätte mit kleiner Küche, erst im Januar 2020 übernommen. Er ist in der Gastronomie und Hotellerie aufgewachsen, hat sich den eigenen Laden hart erarbeitet, kocht und kellnert dort selbst. Kleine Wohnung, kein Auto, selten Urlaub, kein Technik-Schnickschnack. Seine Preise sind moderat bis niedrig, er wolle, so verriet er mir einmal im Vertrauen, dass es sich alle leisten können, zu kommen. Und sie kommen, sowohl Stammgäste als auch Laufkundschaft. Aber eben seltener. Die Laufkundschaft geht weniger aus, sondern kombiniert das Feierabendbier öfter mit Streaming und Lieferdienst. Ob das eine gute Entscheidung ist, bleibt im Hinblick auf die Einsamkeits-Statistik fraglich. Die Stammgäste müssen angesichts der übrigen wirtschaftlichen Entwicklung selbst auf ihr Geld achten. In manchen Monaten, so gestand derselbe Wirt mir vor Kurzem, stehe er nur eine Rechnung vor der Insolvenz. Menschen wie ihm, soll die Steuersenkung zugute kommen.
Vielleicht also sollten Kritiker einfach öfter einen Fuß vor die heimische Tür setzen: Von einer lebendigen und vielfältigen Gastronomie jenseits seelenloser Fress-Ketten können wir nämlich alle profitieren.
* https://web.de/magazine/politik/umstrittene-steuersenkung-41053940