Fanfiction? Wirklich?
Ist das nicht dieses Ding zum Fremdschämen, bei dem bestehende Charaktere belletristisch in fragwürdige Situationen geworfen werden, um schlimmstenfalls mit Autoren-Selbst im Superheldenformat verpartnert zu werden? Endlose literarische Ergüsse vor Hormonstau überbordender, ehm, Abenteuer, in orthografisch bedenklicher Form?
Ein bisschen, ja. Aber zum Glück noch viel mehr.
Zugegebenermaßen, viele, vielleicht sogar die meisten Geschichten haben keinen besonders hohen Anspruch. Manchmal würde die Rechtschreibung und Kommasetzung die Augen jedes Deutschlehrers bluten lassen. Manchmal werden Beziehungen und Verhaltensweisen idealisiert, die sich zwischen absurd, misogyn und strafbar bewegen. Aber das ist auch in gedruckten Büchern leider längst keine Seltenheit mehr. Und dann, mittendrin, finden sich Perlen. Spannende Ideen, gute Recherche, eine feine Beobachtungsgabe für die ganz eigene Wesenheit der Charaktere des Fandoms und die Fähigkeit, ebendiese treffend zu beschreiben. Diese Geschichten schätze ich, auch wenn ich selbst zur literarischen Gattung gekommen bin wie die Jungfrau zum Kinde.
Die meisten Fanfiction-Schreiber gelangen, nun, über das Fandom zum Schreiben. Der Austausch und das Lesen anderer Geschichten weckt nicht selten irgendwann den Wunsch, selbst zu schreiben, insbesondere bei ohnehin fantasievollen Geistern. Für manche von ihnen ist Fanfiction ein Lebens- oder Lebensabschnittswerk, für andere der Einstieg ins professionelle Schreiben. Bei mir war es umgekehrt. Als ich die ersten Fanfictions zu Papier brachte, hatte ich bereits mehr als zehn Jahre Schreiberfahrung und zwei Bücher veröffentlicht.
Doch so sehr ich liebe, was ich schreibe, die Themen wurden zunehmend anspruchsvoller, ernster und die Recherche damit leider auch belastender. Irgendwann merkte ich, dass ich zwar schreiben wollte, aber einen Ausgleich brauchte, der weniger finster ist. Zugegeben, meine Fanfictions sind ebenfalls nicht immer heiter. Aber zweifelsohne heiterer, als die letzte, die kommende und die danach geplante Veröffentlichung es werden. Zumal ich bei Fanfictions meine eigene Regel habe, dass es ein gutes oder doch wenigstens friedliches Ende geben muss. Und so begann ich, das neue Genre für mich zu erobern, und schreibe – der Klassiker – vor allem Harry-Potter-Fanfiction. Ausflüge gab es bislang in die Welt von X-Men, Die Ärzte und „28 days/weeks/years“, vermutlich werden weitere folgen. Bei meiner Entdeckungsreise wählte ich zunächst Wattpad und Fanfiktion.de als Hafen aus und während ich vom ersten nur abraten kann (darüber wird es irgendwann einen eigenen Beitrag geben), fühle ich mich auf zweiterem sehr wohl.
Dabei durfte ich feststellen, dass Fanfiction nicht nur den gewünschten Zweck – kreativ zu schreiben, ohne mich ausschließlich mit belastenden Themen zu beschäftigen – erfüllte. Stattdessen genieße ich auch den Kontakt zu Lesern und Mitautoren. Im Gegensatz zu Social Media, das ich zum Wohl meiner psychischen Gesundheit bewusst und nahezu vollständig meide, ist der Austausch durch Reviews und in Foren deutlich länger, ruhiger und konzentrierter. Die Freude, gemeinsam ein Fandom zu lieben, es lebendig zu halten, darin zu stöbern und es auszubauen, beschwingt mich immer wieder. In diesem Sinne: Ein Hoch auf Fanfiction!
Nina
PS: Solltet ihr mich und meine schriftstellerischen Ergüsse dort besuchen wollen, könnt ihr das hier.