„Ein Buch muss die Axt sein, für das gefrorene Meer in uns.“
– Franz Kafka –
Mein neuer Roman „Dehumanisation“ möchte ebendiese Axt mittels ungewöhnlicher Blickwinkel sein: Die von Terroristen. Nicht beschönigend, nicht verharmlosend, sondern auf der Suche nach Erklärungen. Was muss passieren, damit Menschen sich dem Terrorismus zuwenden? Und wie nimmt die Gesellschaft Terrorismus wahr? Welche Motive verbinden Terrorismus und Rassismus?
Die Hintergründe der Protagonisten sind so vielschichtig wie diese selbst. Naid fühlt sich als Migrant weder in der einen noch der anderen Welt wirklich heimisch. Denn vonseiten der Gesellschaft schlägt ihm beständig Argwohn entgegen. In Oliver ist Menschenhass tief verwurzelt. Seine Überlegenheitsfantasien verlangen nach Herrschaft und Ruhm, ganz gleich welcher Art. Ismat hingegen ist Zeit seines Lebens Spielball fremder Mächte. In seiner Trauer und Ausweglosigkeit trifft er die falsche Entscheidung.
Dehumanisation als Taschenbuch (15,00 €)
ISBN: 978-3981846881
Dehumanisation direkt beim T.O.R. Verlag
Dehumanisation als E-Book (4,99 €)
ISBN: 978-3819444180
Klappentext
Täter? Opfer? Beides?
Naid, Oliver und Ismat sind grundverschiedene Menschen. Trotzdem verbindet sie etwas: Tag für Tag begegnet ihnen Entmenschlichung.
Naid möchte sich mit seiner Frau eine Zukunft in Frieden im fremden London aufbauen – doch sein Umfeld sieht einen islamistischen Gefährder in ihm.
Oliver hingegen giert nach Ruhm und Anerkennung als berühmtester Amokläufer aller Zeiten – seine Wünsche finden bei skrupellosen Extremisten reichen Nährboden.
Ismat wünscht sich seinen Bruder zurück, der die Gefangenschaft in Abu Ghuraib mit dem Leben bezahlte – seine Verzweiflung macht ihn zur leichten Beute für geschickte Verführer.
Alle drei geraten in den Abgrund des islamistischen Terrors. Gibt es ein Entkommen? Eine eindringliche, brandaktuelle Erzählung.
Leseprobe
Naid
»Der Ziegenf*cker gehört zu uns.«
Der Wachmann lachte, Naid hingegen nickte nur kurz, ohne hochzusehen. Er regte sich nicht mehr auf. Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen. Früher hatte er sich aufgeregt und es war nie etwas Gutes dabei entstanden. Nur Glück und ein gnädiger Jugendrichter hatten dafür gesorgt, dass er mit einer Verwarnung und ohne Vorstrafe davongekommen war. Seitdem übte er sich darin, zumindest sein Äußeres kalt erscheinen zu lassen. Gleichgültig, unnahbar. Arzu hielt das für keine gute Idee. Sie meinte, er solle sich vielleicht doch besser aufregen, wenigstens ein bisschen. Oder lächeln. Lächeln wäre gut. Hauptsache, er trüge nicht diese ausdruckslose Miene zur Schau – das sähe zu böse aus. Zu arabisch vor allem. Seiner Meinung nach konnte er das ohnehin nicht ändern, ob er nun gewollt hätte oder nicht. Sein Gesicht wäre im Leben nicht als italienisch oder griechisch durchgegangen, selbst ohne den dichten, dunklen Bart und das kurz geschorene Kopfhaar. Doch Arzu verbarg ihre Sorgen nicht und natürlich hatte sie im Grunde recht. Vermutlich wäre es besser gewesen, dümmlich zu grinsen, doch er brachte eine derartige Verstellung einfach nicht über sich. Und in Allahs Sinne wäre es sicher auch nicht.
Naid zog seine Sicherheitskarte durch und betrat die Personenkontrolle, in das gleißende Neonlicht blinzelnd – draußen war es noch stockfinster. Trotzdem ratterten die Gepäckbänder schon, alles piepte und blinkte. Heathrow war unermüdlich, unerschöpflich und glich für ihn einem gigantischen Tier, einer Amöbe vielleicht. Oder eher noch einer Chimäre aus Tier und Maschine, die Menschen verschlang und ausspie, wie es ihr beliebte. In ihrem Inneren wälzten sich die Massen durch das gewaltige Verdauungssystem.
Naid hatte die Sicherheitsfreigabe für den kritischen Bereich und hätte auch vorne arbeiten dürfen, dann wäre es am Monatsende weniger knapp gewesen. Dass er es nicht tat, lag offiziell am Akzent, aber ein Kollege hatte ihm hämisch grinsend gesteckt, dass es wohl doch eher mit seiner Optik zu tun hatte. Ihm war es egal, er hasste den Job so oder so. Die unmöglichen Schichten, die unfreundlichen Kollegen, die stets gleichen, stupiden Abläufe, den Lärm und die kalte Atmosphäre des Flughafens. Aber es war ein Job und das war das Wichtigste – er musste sich vor Arzu nicht mehr schämen. Und vor sich selbst. Ach Arzu. Nach all den Jahren vermisste er sie immer noch jeden Tag, wenn er ging. Seine Blume. Zu Hause nannte er sie wirklich so und freute sich über ihr Lächeln. Sie liebte Pflanzen und ihren Job als Floristin. Naid gönnte es ihr, es war gut, wenn wenigstens einer von ihnen zufrieden war. Außerdem lag ihr Arbeitsplatz in Southwark: Zwar war die Bahnfahrt lang, doch die Gegend sicher, sodass er keine Angst um sie haben musste.
Oliver
Langsam drückte Oliver das zappelnde Insekt auf den Kaktusstachel. Die fetten, schwarzen Fliegen hingen hier überall herum, in den Personalräumen ebenso wie in den Hallen. Sie ließen sich von den Gerüchen der zahllosen Buden anlocken, die den verrücktesten Fraß feilboten: Vorgeschnittenes Obst, Sushi und anderes ausländisches Zeug, das niemand brauchte. Wenn die Viecher allerdings merkten, dass absolut alles hier in unzählige Plastikschichten verpackt und außerdem viel zu teuer zum Wegschmeißen war, war es bereits zu spät. Dann hieß es nutzlos an die Scheiben prallen und verhungern. Tja. Er musste die Fliegen nur nachher wieder abfummeln – einmal hatte ihn einer der anderen beobachtet und daraufhin angesehen, als wäre er bekloppt. Versager. War nicht so, dass er gerne Tiere quälte, er war ja kein Perverser. Ihm war halt bloß langweilig.
Die übrigen verbrachten ihre Pausen immer wie eine Schar Hühner, zusammengluckend und endlos über irgendein Zeug lamentierend, Politik, Fußball, Familie, was wusste er. Bloß der stille Iraki oder Afghane hielt sich etwas abseits, gehörte auch nicht wirklich dazu. Oliver hätte ihn schon gerne ein bisschen ausgefragt, aber der Mann schien nicht allzu viel Interesse an einer Unterhaltung zu haben, oder möglicherweise verstand er ihn auch einfach nicht. Kurz hatte er in Betracht gezogen, dass es sich um einen von ihnen handeln könnte, war aber nicht wirklich überzeugt. Letztendlich sowieso egal.
Die Fliege zuckte sogar noch, als er sie längst wieder abgezupft und mit einer raschen Handbewegung in den Mülleimer gewischt hatte. Tiere zu quälen war fade. Katzen. Ok, Katzen gingen ihm wirklich auf den Sack mit ihrer selbstherrlichen Arroganz. Wenn er eine sah und keiner hinguckte, wenn die sich dann auch noch unverschämt an sein Bein presste, verpasste er ihr einen ordentlichen Tritt. Früher, auf dem Schulweg, hatte er ab und an eine mit dem Lacrosseschläger erwischt. Flogen gar nicht so schlecht, die Viecher. Aber wirklich Gold wert war der völlig fassungslose Ausdruck auf ihren hässlichen, haarigen Gesichtchen. Als könnten sie sich in ihrer grenzenlosen Arroganz nicht vorstellen, dass jemand nicht so dumm war, sie zu hofieren. Hunde waren allerdings auch nicht viel besser mit ihrer endlosen, debilen Begeisterung. Naja, zumindest konnten die beißen.
Ismat
Kazim war weg. Seit drei Tagen schon. So lange blieb der Ältere sonst nie weg, eine Nacht vielleicht, niemals mehr. Mutter war ganz grau im Gesicht vor Angst und Ismat, der ihr gut zuzureden versuchte, sorgte sich insgeheim selbst. Er kannte die meisten Freunde seines großen Bruders und hatte längst jeden nach dessen Verbleib gefragt – niemand wusste etwas. Einzig, dass Bagher, Kazims bester Freund, ebenfalls verschwunden war, konnten sie ihm sagen. Doch ob das nun ein Trost war oder, ganz im Gegenteil, sogar noch beängstigender, wusste Ismat nicht. Muhamad, der in seinem Alter war, hatte zu Anfang noch lachend gemeint:
»Machen bestimmt einen Ausflug nach Bayt Alshaytan, die beiden.«
Ismat lachte nicht, er hätte auch nicht gelacht, wenn es nicht um seinen Bruder gegangen wäre. So etwas sagte man nicht. Jeder wusste doch, dass aus Abu Ghuraib niemand zurückkehrte. Oder danach zumindest nicht mehr er selbst war. Immerhin war Muhamad so nett, ihm für die Suche sein verbeultes Mofa zu leihen – er war der Einzige, dessen Eltern sich so etwas leisten konnten. Mehr noch als sonst wünschte sich Ismat seinen Vater zurück. Doch die Chance auf einen Rat von ihm war vor zwei Jahren mit einem maroden Auto in Flammen aufgegangen. Ein Unfall, niemand war schuld, aber das war kein Trost. Er schämte sich manchmal, weil er im Inneren oft das Gefühl hatte, noch immer kein richtiger Mann zu sein, obwohl er schon seinen 13. Geburtstag gefeiert hatte. Mit Kazim war das nicht so schlimm gewesen, aber nun spürte er die drückende Last der Verantwortung, alles in Ordnung zu bringen.
Seine Mutter konnte ihm bei der Suche nach seinem Bruder natürlich nicht helfen. Außerdem war sie viel zu schnell erschöpft. Vor ein paar Jahren war Vater deshalb mit ihr beim Arzt gewesen, der beschieden hatte, dass sie eine Operation bräuchte und dringend Medikamente nehmen müsste. Das Herz. Sie hatten angefangen zu sparen, aber als Vater starb, benötigten sie das Geld für die Beerdigung. Mutter beschwerte sich nie, aber Ismat sah, dass ihre Beine immer dicker wurden, obwohl sie nicht viel aß. Wenn sie morgens ging, um Wasser zu holen, blieb sie alle paar Schritte stehen und keuchte. Er half ihr manchmal, obwohl er wusste, dass es sich nicht schickte.
Auf dem wackeligen Mofa suchte Ismat all die Orte ab, an denen es sich herumhängen ließ, wenn nicht geschossen wurde. Den Schuppen hinter der ehemaligen Werkstatt. Die Tankstellenruine am Südrand der Stadt, ihren Treffpunkt. Den alten Dattelpalmenhain, in dem manchmal unheimliche, abgerissene Männer aus dem Norden schliefen, deren Sprache er kaum verstand. Schließlich fuhr er hinaus in die Wüste zu einem der vielen Krater, dahin, wo sein Bruder ihm wenige Wochen zuvor gezeigt hatte, wie man mit einer Flinte auf Dosen schoss. Dort fand er die beiden rostigen Fahrräder zwischen den Steinen, das von Kazim und das von Bagher.
Ismats Herz raste. Minutenlang stand er nur vor den zwei Rädern, rieb die Hände aneinander und wusste nicht, was er tun sollte. Dann begann er, Schritt für Schritt die Umgebung abzusuchen, in konzentrischen Kreisen, alle paar Meter Lobpreisungen an Allah flüsternd, um seine Nerven zu beruhigen.
Viel fand er nicht. Ein paar Zigarettenstummel im Sand – sein Bruder rauchte heimlich, obwohl er wusste, dass es makrūh war. Einige Büchsen auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters, durchsiebt von Schüssen, mehr als zuletzt, meinte er zu erkennen. Und breite Abdrücke, die jeder von ihnen erkannt hätte: Ein Humvee. Das war nicht gut. Aber immerhin kein Blut, kein Anzeichen davon, dass irgendetwas Schreckliches geschehen war, beruhigte Ismat sich selbst. Was nun? Vielleicht waren sie bloß von einer Patrouille aufgegriffen worden, der verbotenen Ballerei und der Flinte wegen, die sie nicht hätten besitzen dürfen. Dann würden sie in ein paar Tagen wieder auftauchen, vielleicht mit ein paar blauen Flecken. Ganz sicher würden sie bald von selbst zurückkehren. Trotzdem ging Ismat am folgenden Tag bei der Polizeistation vorbei. Doch sie wussten nichts, obwohl er ihnen frische Orangen mitbrachte.