Coverbild: "Aufstieg der AfD"

Der Aufstieg der AfD: Strukturschwäche und Segregation

 

Trotz aller Skandale gewinnt die AfD seit ihrer Gründung langsam, aber stetig Mitglieder. Passend dazu steigt der Einfluss rechter und rechtsradikaler Strömungen in der Bevölkerung. Welche Gründe gibt es dafür? Was für Methoden werden genutzt, um Wähler zu manipulieren? Welche Rolle spielen die Medien? Und was könnten Lösungsansätze sein? Hier veröffentliche ich in loser Folge eine Essaysammlung rund um die Themen AfD und Faschismus sowie Migration und Integration.

Hier findet ihr die anderen Teile:

Einleitung

Harter Hund – harte Hand

Migration und Integration I

 

Strukturschwäche und Segregation

Auch wenn die AfD überall an Boden gewinnt: Strukturschwache Regionen sind die Hochburgen der Partei. Woran liegt das? Gibt es dort besonders viele Migranten, auf deren Deportation Akteure rechter Strömungen pochen könnten? Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Stattdessen lässt sich vor allem Abschottung als Faktor identifizieren – nicht allein für das Erstarken der AfD, sondern generell für problematische Kulturphänomene.

Vergleichbar ist das mit einem Körper: Durch Krankheit oder mechanische Einwirkung können Körperteile oder Gewebe vom Rest des Körpers separiert werden. Dann werden sie nicht mehr mit (ausreichend) Blut versorgt, die Sauerstoffsättigung sinkt, Nährstoffe werden nicht mehr hin-, Giftstoffe nicht mehr abtransportiert. Schleichend entstehen Nervenschäden und schlecht heilende Wunden, im schlimmsten Fall und ohne Behandlung vergiftet sich das Körperteil selbst und stirbt ab. In Gesellschaften können durch Abschottung ähnliche Phänomene entstehen, vor allem wenn viele Menschen in schwierigen Lagen ohne Austausch und Durchmischungsmöglichkeit zusammenkommen. Das ist in Pariser Banlieues nicht anders als in sächsischen Dörfern.

In Fällen wie diesen fehlen wirtschaftliche Stabilität, Hoffnung auf Veränderung und positive Zukunftsaussichten sowie Vertrauen in den Staat und seine Organe. Für die Entwicklung von Problemen ist erst einmal nicht ausschlaggebend, ob diese Sorgen alle berechtigt sind – es reicht die beständige Annahme, um die Stimmung zu prägen. Diese wird häufig von Enttäuschung, Zorn, Frustration und Aggression dominiert. Daraus kann eine Zuwendung zu gewaltbereiten, extremistischen und menschenfeindlichen Ideologien resultieren, beispielsweise Islamismus oder Rechtsextremismus. Auch die Kriminalitätsrate ist in ostdeutschen Bundesländern statistisch höher als in westdeutschen.

Eine Partei wie die AfD, die eine Echokammer für Ängste und Wut bildet, indem sie diese kanalisiert, bestätigt und verstärkt, profitiert von einem solchen Umfeld enorm. Ein spannender Fakt dazu: Während die Zahl der Migranten und die der AfD-Wähler in einer Region häufig sogar einen umgekehrten Zusammenhang aufweisen (je weniger Migranten, desto mehr AfD), ließ sich in einer Studie feststellen: Je schlechter die Erreichbarkeit eines Orts mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist, desto häufiger wird die AfD gewählt.

 

Auf den ersten Blick scheint es sich dabei um ein einfach zu behebendes Problem zu handeln: Orte und Regionen, die zu rechtsextremen Brennpunkten werden, brauchen eine bessere Infrastruktur, mehr Kontakt zum Rest des Landes, bessere Wirtschafts- und Zukunftsaussichten. Leider entwickelt die Problematik jedoch eine sich selbst verstärkende Dynamik, aus der es sich nur schwer entkommen lässt.

Denn fatalerweise wird das Problem „Region gleitet nach rechts ab“ zwar von außen, nicht jedoch von innen als solches wahrgenommen – wäre dem so, würde es gar nicht erst zu einem Abgleiten kommen. Stattdessen werden andere Faktoren als Ursachen für echte und vermeintliche Probleme benannt: Allen voran Migration, die für mangelnde wirtschaftliche Möglichkeiten und einen Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht wird. Daneben kommen diverse Verschwörungstheorien zum Einsatz sowie die Annahme, Staat oder Regierung als solches seien für die eigenen Probleme verantwortlich. Letzteres ist insofern nicht völlig abwegig, als dass der Staat beispielsweise für den Aufbau einer guten öffentlichen Infrastruktur zuständig ist. Interessanterweise hat sich ausgerechnet hier die AfD in der Vergangenheit quergestellt und beispielsweise gegen das Deutschlandticket oder einen Ausbau der Kinderbetreuung gestimmt.

Bereits bei der Schaffung einer attraktiven Anreizstruktur, die wirtschaftlich schwachen Regionen helfen könnte, sind dem Staat jedoch enge Grenzen gesetzt – weder Privatpersonen noch Unternehmen können zur Niederlassung oder Tätigkeit in einer bestimmten Region gezwungen werden. Und insbesondere ostdeutsche Bundesländer zählen zu den am stärksten schrumpfenden Regionen in Deutschland. Junge Menschen sehen keine Chancen und ziehen in als vielversprechender wahrgenommene Landesteile. Die rechte Radikalisierung verstärkt diesen Effekt, denn sie treibt zusätzlich junge Menschen aus Regionen, in denen sie aufgrund politischer Einstellung, Aussehen oder Sexualität Repressionen befürchten müssen.

Gleichzeitig gibt es kaum noch Zuwanderung, nicht zuletzt, weil Gegenden mit großem Anteil rechter Wähler Menschen mit Migrationshintergrund abschrecken. Welcher Busfahrer mit senegalesischen Eltern zieht an einen Ort, an dem er befürchten muss, nach Feierabend zusammengeschlagen zu werden? Welcher Hausarzt irakischer Abstammung zieht eine Praxisübernahme in Betracht, wenn er um seine Familie fürchten muss? Ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands hat Migrationshintergrund – und entfällt damit als mögliche Zuzügler in Gegenden mit starkem AfD-Einfluss. Im medizinischen Sektor verschärft dieser Umstand die Situation besonders, da der Anteil in diesen Berufen höher ist als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Ähnlich verhält es sich mit der Ansiedlung von Unternehmen: Soll ein Standort oder eine Firma neu gegründet werden, wird zwar ein Teil der benötigten Arbeitskräfte aus der lokalen Bevölkerung gewonnen. Die übrigen werden jedoch aus dem eigenen Unternehmen rekrutiert oder von weiter weg angeworben werden. Muss ein Unternehmen nun mit Schwierigkeiten beim Zusammenstellen der Arbeitkräfte rechnen, weil beispielsweise homosexuelle, migrantische oder jüdische Personen eine Region meiden, wird es eine andere wählen. Die Neuansiedlungen von Firmen und Standorten in Umgebungen mit großem Anteil rechts(-radikaler) Strömungen ist daher selten. Insbesondere Unternehmensleiter sehen das Erstarken der AfD sowie deren Wahlprogram als wohlstandsgefährdend an – und treffen entsprechende Entscheidungen.

So entsteht ein Teufelskreis: Benachteiligten Regionen mangelt es bereits an Fachkräften, jungen Menschen, Infrastruktur und Arbeitgebern. Das führt zu Unzufriedenheit und Angst, die die AfD leicht für sich ausnutzen kann. Ihr Wähleranteil steigt, was Fachkräfte, junge Menschen und Arbeitgeber abschreckt und sowohl ökonomische als auch infrastrukturelle Probleme weiter verstärkt.

Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht in der Einengung des Blickwinkels. Fehlt der Kontakt mit anderen Herkünften, Sexualitäten, Religionen etc., lassen sich leicht Feindbilder generieren, speziell auf Migranten bezogen. Es ist leicht, Menschen glauben zu machen, „wie die sind“, wenn sie nicht auf eigene Kontakte und Erfahrungen zurückgreifen können, weil sie niemanden kennen, der „so ist“. Feindbilder und Stereotype lassen sich hingegen deutlich schwerer produzieren und aufrecht erhalten, wenn ein regelmäßiger Austausch stattfindet. Wer im Alltag umgeben ist von Menschen mit Migrationshintergrund, die ihrer Arbeit nachgehen, ihre Kinder in die Schule bringen, Nachbarn sind, dämonisiert seltener ganze Gruppen.

Gleichzeitig meiden ebendiese Menschen verständlicherweise Orte, an denen ihnen Gefährdung und Gewalt droht – was die Austauschmöglichkeiten weiter einschränkt und Gemeinschaften mit hoher rechtsextremer Wählerschaft weiter isoliert.

 

An dieser Stelle Abhilfe zu schaffen, ist aufgrund der sich selbst verstärkenden Dynamik schwer. Ein guter Einstieg wäre ein massiver Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, sowohl was Strecken als auch Takt betrifft, sowie das Senken des Preises für das Deutschlandticket auf ein dauerhaft niedriges Niveau. Auf diese Art kann von staatlicher Seite aus einer Abschottung entgegengewirkt werden. Konkrete Kampagnen gegen das Erstarken des Rechtsextremismus können ebenfalls positive Auswirkungen haben. Tatsächlich wurden die Mittel gerade für diese wichtigen Initiativen jedoch Jahr für Jahr weiter zusammengestrichen. Hierzu zählen Aussteigerprogramme für Neonazis ebenso wie das Nachvollziehbarmachen von wirtschaftlichen Zusammenhängen wie dem oben genannten. Austausch und Verständnis könnten zudem gefördert, Ängste abgebaut werden, indem mehr Kontakt zu Migranten hergestellt wird. Beispielsweise könnten Vortragsreihen geschaffen werden, in denen Geflüchtete ihre eigenen Geschichten erzählen – als Pflichtprogramm in Schulen sowie als freiwilliges Angebot für Erwachsene.

 

Ausgewählte Quellen:

https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/deutschland/gemeinden/wachsend-schrumpfend-gemeinden/Wachs_Schrumpf_Gemeinden.html

https://mediendienst-integration.de/en/migration/bevoelkerung.html

https://www.fr.de/wirtschaft/alle-haben-gewarnt-in-dieser-afd-hochburg-ergreift-ein-investor-massnahmen-zr-93784854.html

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/massive-wohlstandverluste-befuerchtet-wirtschaft-warnt-vor-afd-plaenen/100107979.html

https://www.deutschlandatlas.bund.de/DE/Karten/Unsere-Sicherheit/190-Straftaten.html

https://www.aerzteblatt.de/archiv/integration-und-migration-unverzichtbare-einwanderung-c8eb19e9-392a-49f0-b3c9-2eab279ce4df

https://www.fr.de/politik/neue-studie-wo-der-bus-weniger-faehrt-waehlen-mehr-menschen-extrem-rechts-zr-93707517.html