Coverbild: "Aufstieg der AfD" Harter Hund

Der Aufstieg der AfD: Harter Hund – harte Hand

 

Trotz aller Skandale gewinnt die AfD seit ihrer Gründung langsam, aber stetig Mitglieder. Passend dazu steigt der Einfluss rechter und rechtsradikaler Strömungen in der Bevölkerung. Welche Gründe gibt es dafür? Was für Methoden werden genutzt, um Wähler zu manipulieren? Welche Rolle spielen die Medien? Und was könnten Lösungsansätze sein? Hier veröffentliche ich in loser Folge eine Essaysammlung rund um die Themen AfD und Faschismus sowie Migration und Integration.

Hier findet ihr die anderen Teile:

Einleitung

 

Harter Hund – harte Hand

Eines der wiederkehrenden Motive rechter Strömungen – aber durchaus nicht ausschließlich dieser – ist der Wunsch nach einer starken Führungsfigur. Mit Blick auf die Geschichte ist das nicht verwunderlich, immerhin prägt der Kult um den „Führer“ den gesamten Nationalsozialismus. Aber auch nahezu jedes andere undemokratische Schreckensregime brauchte eine als inspirierend wahrgenommene Leitfigur: Mao Zedong, Benito Mussolini, Pol Pot, Josef Stalin, Mobutu Sese Seko, Idi Amin, Sadam Hussein, Augusto Pinochet oder Francisco Franco stellten stets auch ihre Person in den Vordergrund. Aktuelle Beispiele liefern Kim Jong-un sowie Wladimir Putin und der oberste Staatsmann der USA – während er durch Handlungen und Reden auf sich aufmerksam macht, die nicht zu einem demokratischen Land passen. Ganz gleich, welche Ideologie auf den Fahnen steht, in einem autokratischen Regime werden alle politischen Handlungen auf einen Mann (es ist immer ein Mann) projiziert, den zudem stets intensiver Personenkult umgibt.

Auch die Genannten – Donald Trump und Wladimir Putin – werden von vielen rechten und rechtsradikalen Strömungen als Leitfigur betrachtet, trotz ihrer (vermeintlichen) politischen Unterschiede. Doch was macht die Faszination für Männer aus, die sich schamlos bereichern, ganze Bevölkerungsteile ins Elend stürzen oder gar Menschen verschwinden lassen und Kriege beginnen?

 

Der scheut sich nicht, auch schwere Entscheidungen zu treffen.

Die Idee der „schweren Entscheidungen“ ist sehr beliebt. Sie suggeriert, dass eine Entscheidung mühevoll und unter intensiver Auseinandersetzung des Betreffenden mit dem Thema entstanden ist. Dass er möglicherweise sogar darunter leidet, diese Entscheidung treffen zu müssen. Umgekehrt aber auch, dass sie (zum angeblichen Wohle des Volkes) getroffen werden müsse. Dass es also gar keine echte Alternative gäbe und andere Akteure lediglich zu schwach seien, die notwendige Entscheidung zu treffen. Ein Führer mit der richtigen Härte würde das jedoch selbstverständlich tun, sogar unter persönlichem Leid.

Allerdings handelt es sich nicht üblicherweise um Entscheidungen, die tatsächlich schwer für besagte Führungsfigur oder ihre Getreuen sind. Zumeist werden auf diese Art Vorschläge verpackt, die nationalistisch, rassistisch oder anderweitig minderheitenfeindlich sind, Grund- und Menschenrechte einschränken oder sozial schwache Gruppen benachteiligen. Die behauptete „Schwere“ der Entscheidung dient lediglich dem Vorspiegeln einer moralisch weißen Weste. Die Unterstellung, politische Konkurrenten würden um die Unumgänglichkeit der Entscheidung wissen, sie jedoch nicht treffen, dient deren Legitimation. Beweise der angeblichen Alternativlosigkeit werden nicht erbracht.

 

Der ist ein Anpacker, nicht nur ein Redenschwinger.

Wer liebäugelt nicht mit der Vorstellung, dass endlich etwas passiert? Dass der Menge an Problemen rasche und konkrete Handlungen entgegengesetzt werden? Rechte Akteure platzieren sich gerne als diejenigen, die nicht reden, sondern mit harter Hand anpacken. Auf den ersten Blick erscheint das unverdächtig – zeichnet sich unser Staat doch tatsächlich durch eine beklagenswerte Trägheit und einen Hang zur Bürokratie aus. Allerdings meinen rechte Strömungen keinen produktiven Abbau von Bürokratie, sondern das Umgehen und Aushebeln von Demokratie. Statt abzuwägen, das Für und Wider zu diskutieren und schließlich einen lösungsorientierten Kompromiss zu finden, soll die rasche Entscheidung eines Einzelnen her.

Dass längere Prozesse der Entscheidungsfindung ihren Sinn haben – Informationen einholen, Risiken abwägen, verschiedene Interessen berücksichtigen -, wird unterschlagen. Schnelle Entscheidungen eines Einzelnen gehen normalerweise zulasten anderer Gruppen oder Faktoren wie Sicherheit, Stabilität oder Nachhaltigkeit und protegieren ausschließlich die Interessen eben dieses Einzelnen und seiner Unterstützer. Wenig überraschend sind Vorschläge von Akteuren, die sich selbst besonders häufig als „Anpacker“ bezeichnen, oftmals unrealistisch und ungeeignet, das angesprochene Problem auch nur zu verbessern.

Dazu passt, dass kein Autokrat der jüngeren Vergangenheit sein Volk tatsächlich dauerhaft in Wohlstand, Sicherheit und Zufriedenheit führen konnte. Stattdessen endeten auf diese Art regierte Länder in Gewalt, Trauma und wirtschaftlichem Niedergang. Von Idi Amins Afrikanisierungskampagne beispielsweise, bei der tausende Asiaten als unerwünschte Ausländer deklariert und gezwungen wurden, das Land zu verlassen, hat sich Ugandas Wirtschaft bis heute nicht vollständig erholt. Noch weniger von den 300.000-400.000 Opfern seiner Herrschaft. Stalin hatte mehrere Jahrzehnte Zeit: Sein Umbau des Staats kostete Millionen Menschen das Leben und vernichtete oder vertrieb im Rahmen der Entkulakisierung unglaubliche Mengen Wissen und Wohlstand in Form ihrer Träger. Welche Folgen Hitler für die Welt hatte, muss nicht näher erläutert werden. Dass jeder dieser (und aller anderen) Diktatoren gleichzeitig Millionen für sich und seine Günstlinge scheffelte, gehört ebenfalls zum sich stets wiederholenden Muster des harten Hunds.

 

Der sieht die Probleme der kleinen Leute / die echten Probleme.

Ein geschickter harter Hund – und um in eine Führungsposition zu kommen, ist zwar nicht unbedingt Genialität, aber ein Mindestmaß an Geschick notwendig – sieht nicht die Probleme kleiner Leute. Stattdessen erklärt er ihnen so lange, welche Probleme sie haben, bis sie es glauben, sogar fester Überzeugung verteidigen. Dabei handelt es sich selbstverständlich um die „Probleme“, die seiner persönlichen Meinung nach zu beseitigen sind.

Nicht „kleine Leute“ haben Juden als Problem beschworen (auch wenn es vorher selbstverständlich Antisemitismus gab!), sondern Hitler und seine Vasallen. Kein Bauer unter Stalin hat darum gebeten, kollektiviert zu werden und zu verhungern. Und Pol Pots Landsmänner wurden nicht von Brillenträgern schikaniert, sodass es „sinnvoll“ war, eben diese zu foltern und zu ermorden. Werden AfD-Wähler, vor allem im Osten, gefragt, welchen negativen Einfluss Migranten auf ihr Leben haben und was sich durch ihre Vertreibung daran ändern wird, bleiben die meisten sehr vage. Oft folgen nur bekannte Sätze und Parolen, an konkreten Beispielen mangelt es. In keinem der Regime ging es den „kleinen Leuten“ tatsächlich besser, sie dienten lediglich als Steigbügelhalter für den jeweiligen „harten Hund“ und seine Garden. Der harte Hund braucht Probleme, mit deren vermeintlicher Lösung er prahlen kann. An denen er seine harte Hand demonstrieren kann. Geht es um echte Probleme, fehlen Lösungsansätze.

So sieht die AfD beispielsweise eine bessere Honorierung von privat und beruflich Pflegenden vor – negiert dabei aber, dass es schlicht nicht ausreichend Pflegekräfte gibt. Stattdessen finden sich Schlagsätze wie „bessere Entlastungsangebote für pflegende Angehörige“ – ohne Erläuterung, wie diese aussehen oder finanziert werden sollen. Wichtig ist allein, dass es gut klingt. Nicht anders als die Forderung nach einer Erhöhung der Ausbildungsplätze: Seit Jahren gibt es mehr Ausbildungsplätze als Anwärter – sie bleiben unbesetzt. Und: 31 Prozent aller Altenpfleger haben Migrationshintergrund. Welche Auswirkungen die Pläne der AfD auf den Pflegenotstand hätten, lässt sich daher leicht ausrechnen. Solange die Partei ihren Wählern jedoch einpeitscht, dass ihr wirkliches Problem Migranten sind, bleiben diese Zusammenhänge ungesehen. Gerade, weil Lösungen echter Probleme des „kleinen Mannes“ komplex sind, Zeit und Expertise brauchen, erschaffen die harten Hunde lieber solche, die scheinbar mit einfachen Mitteln zu bewältigen sind.

Ein gutes Autokratenproblem ist leicht zu erklären, passt zu den angebotenen Lösungen (nicht umgekehrt), die keinerlei Anstrengung oder Einschränkung erfordern, und wird so oft wiederholt, bis wirklich jeder Wähler den Eindruck hat, es voll und ganz zu fühlen.

 

Dem tanzt keiner auf der Nase herum.

Hinter dem Wunsch nach einer möglichst harten Führungspersönlichkeit steht zumeist der Wunsch nach Stärke. Der harte Hund soll anderen gegenüber überlegen und mächtig wirken und damit auch ein starkes, sicheres Land repräsentieren. Niemand soll es wagen, sich ihm zu widersetzen oder ihn gar zu gängeln – weder Opposition noch einflussreiche Wirtschaftsmagnaten oder Politiker anderer Länder. Er setzt jedem gegenüber seine und damit selbstverständlich die Ziele des Volks in dessen bestem Interesse durch, nichts kann ihn beirren. Wer nicht spurt, wird bestraft, stürzt vielleicht auch schon mal aus dem Fenster. Das trifft die Richtigen, sie haben es nicht anders verdient, ist oftmals der Gedanke dazu.

Allerdings entscheidet allein der besagte harte Hund, wer die Richtigen sind – nach seinen eigenen Interessen. Wer im Weg steht, wer eine andere Meinung hat, wird beseitigt, Kompromisse gelten als Schwäche. Wer widerspricht, gilt als Feind. Im Weg stehen in diesem Fall jedoch alle Menschen mit eigener Meinung oder Gerechtigkeitssinn und natürlich funktionierende Justiz und Medien.

Männer wie Trump und Putin treten stark auf, glauben sich in der Weltgemeinschaft durchzusetzen, sie zu erpressen, ihr ihre Wünsche aufzunötigen. Dabei übersehen sie, dass die Weltgemeinschaft, sich deren destruktiver Wirkung bewusst, nur vordergründig kuscht und hintergründig Lösungen sucht, um ohne diese Männer – und Länder – auszukommen. Vor allem aber geht diese „Stärke“ stets mit dem Leid des eigenen Volkes einher: Der amerikanische Präsident schickt das Militär wider der Verfassung in die eigenen Städte. Und wer in Russland von Krieg spricht oder sich gar kritisch äußert, landet im modernen Gulag. Oftmals erkennen die Bürger eines Landes erst die Fatalität der vermeintlichen Stärke, wenn sie selbst oder Menschen, die sie lieben, in Gefahr geraten. Egal in welchem Land und in welcher Zeit: Der harte Hund lässt primär die eigenen Bürger seine harte Hand spüren.

 

Was kann helfen, diese Faszination zu brechen? Männer wie Putin oder Trump unternehmen große Anstrengungen, um ihr Bild des harten Mannes, der Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz aufrecht zu erhalten. Innerhalb ihres Landes haben sie oft Kontrolle über die Medien und können sie beliebig nutzen, um dieses Narrativ zu verbreiten, teilweise mit Berichten in sehr hoher Schlagzahl. Ausländische Medien könnten sich anders verhalten, unterstützen es jedoch nicht selten ungewollt. So finden sich beispielsweise auf großen deutschen Medienseiten oftmals zwei oder drei Artikel mit dem Abbild oder Namen Trumps gleichzeitig. Auch über Putin als Person wird sehr engmaschig berichtet – wesentlich mehr, als nötig wäre.

Was sich hingegen lediglich alle paar Wochen im Fokus befindet, sind die Auswirkungen ihrer Politik. Damit sind weniger abstrakte gesamtwirtschaftliche oder -gesellschaftliche Entwicklungen wie der Börsenkurs oder die Anzahl insolventer russischer Kohleunternehmen gemeint – hier fehlt es vielen Menschen an persönlichen Berührungspunkten. Interessanter sind direkte, konkrete Auswirkungen auf einzelne, beispielhafte Leben:

Wie geht es dem Veteranen, der beim Dienst am Land ein Bein verloren hat und nun ohne Krankenversicherung dasteht? Wie hält sich die Seniorin über Wasser, deren staatliche Rente seit Monaten nicht ausgezahlt wird? Wie leben nicht-weiße Arbeiter mit der täglichen Angst? Wie fühlen sich Mütter in der russisch besetzten Zone, deren Kinder täglich in der Schule propagandistisches Lob auf Putin widerholen müssen? Was denkt der fahnenflüchtige russische Soldat, der nicht gegen Brüder kämpfen wollte? Was berichtet der Regierungsangestellte, der seinen Job verloren hat, weil er sich geweigert hat, gefälschte Zahlen zur Wirtschaft zu veröffentlichen, oder das Wort Klimawandel verwendete?

Berichte wie diese sind zwar vorhanden, aber deutlich unterrepräsentiert. Dabei fördern sie das Verständnis für reale Auswirkungen autokratischer Politik, die stets als Erstes die „kleinsten“ Leute opfert. Sie entmystifizieren den Bombast geschwungener Reden hin zu den Auswirkungen auf das echte Leben. Auch deshalb ist es wichtig, miteinander zu reden: Fragt, welche Erwartungen jemand an einen harten Hund hat, was er sich erhofft oder umgekehrt, was er ohne Eingreifen des harten Hunds befürchtet. Aufseiten der Politik wiederum ist (neben Bürokratieabbau) mehr Transparenz notwendig, um Verständnis für das vermeintlich „schwache“ Vorgehen zu erreichen: Warum wird dieses oder jenes so gemacht? Warum dauert es länger? Welche Schritte finden in der Zeit statt?

 

Ausgewählte Quellen:

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/autoritaere-herrscher-so-funktionieren-fuehrerkulte

https://de.wikipedia.org/wiki/Ausweisung_von_Asiaten_aus_Uganda

https://de.wikipedia.org/wiki/Entkulakisierung

https://www.altenpflege-online.net/wie-viele-beschaeftigte-in-der-altenpflege-einen-migrationshintergrund-haben/