Wie um viele vermeintlich besonders erstrebenswerte und spannende Tätigkeiten ranken sich auch um die Schriftstellerei einige Mythen. Daneben haben eine Reihe Klischees die Vorstellung von Autoren geprägt. Im folgenden Beitrag möchte ich drei davon zurechtrücken: Auf Basis meiner individuellen Erfahrungen und Einblicke in die Branche. Allgemeingültigkeit ist weder geplant noch erhofft. 🙂
Inspiration & Schreibprozess
Das medial vermittelte Bild eines Schriftstellers sieht zumeist eine kreative Gestalt mit Heißgetränk in einem ultraromantischen Café vor. Verträumt starrt sie in die imaginäre Ferne, um plötzlich mit gewichtigem Gesichtsausdruck einige Zeilen auf schneeweißes Papier zu bringen – von Hand, versteht sich. Oder wenn schon keine Cappuccino-Romantik, dann wenigstens ein großer Massivholzschreibtisch im Sonnenlicht nebst wuchtiger, schwarzer Schreibmaschine.
Tatsächlich bin ich eines der seltenen Exemplare, die noch von Hand schreiben. Allerdings mit Bleistift, in der Kneipe und nicht im Café und auch nur Erstentwürfe – alles andere passiert, so wie bei meinen Kollegen, am Computer. Von intensiver Inspiration getränkt ein Meisterwerk aus den Fingern schütteln? Möglicherweise kommt das vor. Doch deutlich häufiger besteht Schriftstellerei aus Plot-Planung, Charakterbögen, endloser Recherche und viel Lernerfahrung über Spannungskurven und Füllwörter. Zutiefst unromantisch, aber auf dem Weg zu einem guten Buch notwendig. Ohnehin nimmt das eigentliche Schreiben nur einen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Neben Recherche, Buchhaltung und Kommunikation fließt der Rest in Überarbeitung und Marketing – vor allem in Marketing. Bei Selfpublishern ist es nicht ungewöhnlich, dass diese Tätigkeiten das Schreiben selbst zeitlich deutlich übersteigen.
Verlage
„Wenn das Buch gut ist, schick es doch einfach an einen Verlag!“
Ja. Auf die Idee bin ich natürlich nie gekommen. Denn wie jeder weiß, lechzen Verlage nur so nach Manuskripten – zumindest in den Köpfen vieler Leute. Da sind alle Schriftsteller umsorgte Künstler, auf deren Ergüsse die Buchbranche nur gewartet hat. In Wirklichkeit erhalten größere Verlage 2.000-10.000 Manuskripte pro Jahr – ob diese überhaupt gesichtet werden, ist ein Geheimnis. Viel davon ist zweifelsohne eher minderer Qualität, doch was übrig bleibt, ist immer noch ausreichend für harten Konkurrenzkampf. Dabei schauen Verlage nur teilweise nach einer guten Geschichte – oftmals scheinen Vermarktbarkeit, Social-Media-Affinität und Produktivität wichtigere Faktoren in der Schriftstellerei zu sein. Je nach Genre bekommt nur einen Fuß in die Tür, wer konstant 1-2 Manuskripte jährlich abliefern kann. Da Ghosting trotz aller ihm innenwohnender Scheußlichkeit in dieser Branche noch früher en vogue geworden ist als anderswo, bekommen die meisten Bewerber nicht einmal eine Antwort.
Tatsächlich arbeiten viele Verlage mehr oder weniger offen nur noch mit Agenturen. Diese ersparen ihnen einen Teil der Arbeit, indem sie bereits vorsortieren, Kleinigkeiten ändern und als Verhandlungspartner auftreten. Das ist auch deshalb günstig, weil bei Vertragsabschluss der Autor einen Teil seines Honorars an die Agentur abtreten muss, nicht etwa der Verlag.
Der Rowling-Vergleich
„Und dann veröffentlichst du das und dann wirst du reich und berühmt, wie diese … wie heißt die noch mal? Die mit Harry Potter!“
– haben viele Autoren schon einmal gehört. Alternativ kommt auch manchmal Sebastian Fitzek zum Einsatz. Die Realität sieht natürlich ganz anders aus: Mehr als 98 Prozent aller Schriftsteller können nicht von ihrer Arbeit leben, weder gut noch schlecht. Laut einer Erhebung der KSK (Künstlersozialkasse) beträgt das Durchschnittseinkommen 25.000 Euro brutto. Allerdings werden hier allerhand andere Dienstleistungen mit eingerechnet, beispielsweise Lesungen, Vorträge, Kurse oder Lektoratsarbeiten. Und es gilt nur für Schriftsteller, die überhaupt ausreichend verdienen, um bei der KSK gemeldet zu sein. Tatsächlich sinkt das Einkommen in der Schriftstellerei seit 2020 stetig.
Klingt alles ein wenig verbittert? Manchmal vielleicht. Denn zugegebenermaßen sind die Arbeits- und Honorarbedingungen unserer Zunft mit die schlechtesten in ganz Deutschland. Dass ich trotzdem schreibe und veröffentliche, liegt an meiner Leidenschaft für Geschichten. Es bleibt jedoch oftmals bedrückend, dass diese auszuleben, nicht unter würdigeren Bedingungen möglich ist. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändert und der Liebe zu Sprache und Geschichten (wieder) mehr Wert beigemessen wird!
https://www.boersenblatt.net/news/mehr-buchmillionaere-und-viel-schatten-368053
https://www.kuenstlersozialkasse.de/service-und-medien/ksk-in-zahlen