Corona in Köln

 

Im schönen Köln durften wir in den letzten Monaten den zweifelhaften Spitzenplatz als Großstadt mit der höchsten Inzidenzzahl Deutschlands (konkret hieß das über 266) einnehmen.

Die Krankenhäuser waren bis an und über die Kapazitätsgrenzen belegt, Patienten mussten in umliegenden Hospitälern untergebracht werden. Die Entwicklung war beängstigend und führte unweigerlich zu der Frage: Warum ist das so? Und was können wir daran ändern? Eine nennenswerte Querdenkerszene existiert in der Millionenstadt nicht, eine entsprechende Demonstration machte sich mit wenigen hundert Teilnehmern lächerlich. Also wo lag, wo liegt das Problem? Nachdem ich mich lange umgesehen und -gehört habe, lässt es sich überwiegend in einem Wort zusammenfassen: Behördenversagen. Und weil das ein hartes Wort ist, braucht es konkrete Beispiele und gute Argumente. Aber von vorne.

Was passierte, was nicht passierte

Infolge schwindelerregend steigender Zahlen entfaltete sich ein Reigen an Reaktionen seitens der Stadtverwaltung. Wobei sich deren Bemühungen vor allem durch das vollkommene Fehlen jedweder Art von Selbstkritik, Fehlereinsicht oder dem Versuch, eigene Versäumnisse überhaupt aufzudecken, auszeichneten. Zugleich wurden Maßnahmen beschlossen, die Bürger massiv beschränkten, Ämter und Behörden jedoch bis zur Nichtverantwortlichkeit schonten. Dazu zählt beispielsweise die deutschlandweit einzige Ausgangssperre bereits ab 21 Uhr, die auch zu einem Zeitpunkt aufrecht erhalten wurde, als wissenschaftliche Studien bereits die relative Nutzlosigkeit von nächtlichen Ausgangssperren belegten (Quelle).

Gleichzeitig aber wollte selbst nach Monaten niemand für die Kontrolle der Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr zuständig sein. Die Kölner Verkehrsbetriebe schoben die Verantwortlichkeit auf Polizei / Ordnungsamt und umgekehrt. Dass erstere ohnehin zu 100 % der Stadt Köln gehören und deshalb alle Beteiligten denselben Dienstherren haben, tat dem jämmerlichen Gerangel keinen Abbruch. In der Folge beobachtete ich bei jeder Straßenbahnfahrt – wobei ich in der glücklichen Lage war, diese auf einmal monatlich zu reduzieren – mindestens ein oder zwei heraushängende Nasen, gelegentlich auch Gesichter „unten ohne“. Eine Kontrolle hingegen konnte ich bis heute nicht miterleben.

Allein diese beiden Punkte stellen gut den planlos-paradoxen Umgang mit der Pandemie dar, es geht jedoch noch schlimmer.

 

Behördenstarrsinn

Dass Behörden und Ämter oft langsam und eher wenig zeitgemäß agieren, ist keine Neuigkeit und auch in Köln nicht anders (ganz im Gegenteil). Doch im Falle einer Katastrophe zählen Flexibilität, Zusammenhalt und pragmatische Lösungen – so die Theorie. Für Behörden allerdings spielt derlei neumodischer Schnickschnack bloß wegen eines nationalen Notstands noch lange keine Rolle. Inmitten des ersten pandemischen Herbsts musste eine Freundin von mir einen neuen Personalausweis beantragen. Aus aktuellem Anlass wandte sie sich an ihr zuständiges Bürgeramt: Ob es möglich wäre, ein biometrisches Foto hochzuladen und so die Aufenthaltsdauer vor Ort zu reduzieren. Die Antwort: Nein.

Tests waren noch nicht verfügbar, die Pandemie währte bereits fast ein Jahr und in meiner schönen Heimatstadt existiert kein Formular, um Fotos sicher hochzuladen und zu überprüfen. Einzige Möglichkeit ist der überteuerte Fotoautomat im Amt selbst. Ob es denn dann zumindest möglich wäre, den Personalausweis per eigenhändigem Einschreiben zu versenden (teuer genug ist er ja!) und so zumindest das Risiko eines zweiten Besuchs zu sparen. Ebenfalls nein. (Beglaubigte Geburtsurkunden werden vom Standesamt übrigens an den Bürger versendet. Sogar wenn das ausstellende Standesamt das gleiche wie das empfangende Standesamt ist.) Niemand weiß weshalb, aber das Angenehme an Behördenarbeit ist, derlei Absurditäten auch gar nicht erklären zu müssen. Beides hat sich übrigens auch jetzt, immerhin 17 Monate nach Beginn der Pandemie, nicht geändert. Wird es auch nicht – Sterben hin, Sterben her.

 

Arbeitsschutz

Ein weiteres befreundetes Paar lebte dank des Vorgesetzten des Mannes lange Zeit in Sorge. Denn obwohl dieser der wahrscheinlich homeoffice-affinsten Branche überhaupt angehört, durfte er nicht dauerhaft von zuhause aus arbeiten. Das Equipment war vorhanden, Aufgaben, die eine persönliche Präsenz erforderten, gab es nicht. Trotzdem musste er wöchentlich zwei bis drei Tage vor Ort erscheinen – da er kein Auto besitzt, mit jeweils einstündigem Hin- und Rückweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Grund: Sein Chef findet Homeoffice doof. Und überhaupt sei Corona auch nicht so schlimm. Homeofficepflicht? Gelte für ihn nicht. Stattdessen prahlte er damit, dass er schon einen Grund für eine Ausnahme finden würde. Außerdem würde sowieso niemand kontrollieren und wenn doch, würde man ja auch nicht bestraft.

Zumindest Letzteres ist leider korrekt, denn die vermeintliche Homeoffice-Pflicht war zu jedem Zeitpunkt eine Farce: Laut Bundesregierung waren nie Strafen vorgesehen. Allerdings hätte Köln hier selbstverständlich eigene Regelungen finden dürfen. Während das bei der Ausgangssperre aber passiert ist, sah man hier keine Notwendigkeit. Und das, obwohl in diesem Fall Studien vorliegen, die aussagen, dass Homeoffice ein hervorragender Wellenbrecher ist (Quelle). Leider spielte das bei den Entscheidungen der Kölner Stadtverwaltung keine Rolle. Das führte zwischendurch zu der absurden Situation, dass ich mit einem Bußgeld von 250 € hätte rechnen müssen, wäre ich um vier Uhr nachts alleine um den Block gelaufen, um eine Zigarette zu rauchen. Zum gleichen Zeitpunkt wäre einem Unternehmen, das sämtliche Angestellten entgegen der Homeoffice-Pflicht antreten ließe, absolut nichts passiert.

Als die Zahlen im Winter immer bedrohlicher wurden, sah besagter Freund keine andere Möglichkeit mehr, als sich an den offiziellen Kölner Arbeitsschutz – das Dezernat 56 – zu wenden. Aus Angst um sich, um seine Familie und natürlich auch um die anderen Mitarbeiter. Anonym (die Möglichkeit besteht) und zunächst ohne Nennung des Unternehmens. Denn dieses ist recht klein und er war der Einzige, der überhaupt angemerkt hatte, dass eine Arbeit im Homeoffice zurzeit wünschenswert, weil sicherer sei – sonst hatte sich niemand getraut. Würde das Unternehmen nun kontrolliert und dabei bekannt, dass jemand „gepetzt“ hat, wäre der Verdacht rasch auf ihn gefallen. Also schilderte er dem Arbeitsschutz in dessen anonymem Formular unter Angabe seiner E-Mailadresse die Situation und erkundigte sich, ob eine “zufällige“ Kontrolle des Unternehmens möglich wäre. Leider schien das nicht wichtig genug, denn der Arbeitsschutz der Stadt hat sich niemals bei ihm gemeldet. Ebenso wenig wie das Unternehmen je kontrolliert wurde.

 

Gesundheitsamt in Köln

Der Leiter des Kölner Gesundheitsamts, Dr. Johannes Nießen, ist nicht eben medienscheu. Vielleicht ist es das, was mich argwöhnisch macht: Dass der Leiter des Gesundheitsamts einer Millionenstadt inmitten einer Pandemie ausreichend Zeit für Interviews findet, angefangen von Regionalzeitungen bis hin zum Deutschlandfunk. Nicht etwa angefüllt mit wichtigen Studienergebnissen zu Maßnahmen oder nützlichen Informationen für die Bürger – nein, in erster Linie betonend, wie gut das Gesundheitsamt Köln sei. Wie wirklich ausgesprochen gut. Und natürlich, wie gut er selbst darin sei, es durch die Krise zu steuern. Die Betreuung, so seine Worte, sei so exzellent, dass er sogar Dankesbriefe erhalte.

Persönlich bin ich nicht in den Genuss dieser Betreuung gekommen. Hätte ich vielleicht sollen – ist aber nicht passiert. Denn eine meiner „Spaziergang-Freundinnen“ wurde Ende Februar an einem Samstagmorgen von ihrer Mutter über deren positives Testergebnis informiert. Standardtest weil Schuldienst, der Hausarzt rief an. Die Mutter hatte spontan zwar Adresse, aber weder Mail noch Telefonnummer ihrer Tochter oder deren Mann zur Hand. Hausarzt meinte, das sei nicht schlimm, könne sie in Ruhe raussuchen, das Gesundheitsamt melde sich zeitnah bei ihr. Aber sie solle ihrer Tochter schon einmal sagen, sie müsse als Kontaktperson 1. Grades 14 Tage in Quarantäne. Sicherheitshalber. Die wiederum hat sofort mich angerufen, denn ich war einer der wenigen Kontakte ihrer vergangenen Woche, unglücklicherweise neben einer radiologischen Klinik mit vielen entsprechend vulnerablen Patienten. Auch dort meldete sie sich sofort selbst, trotz der Ankündigung des Arztes hinsichtlich der Betreuung durch unser Gesundheitsamt.

Der Tag verging damit, auf den Anruf des Gesundheitsamts zu warten. Der aber kam nicht, weder bei ihrer Mutter noch bei ihr. Ihr Mann hätte montags eigentlich wieder zur Arbeit gehen müssen, blieb jedoch daheim, auch ohne Bescheinigung. Erst vier Tage später erhielt das Paar einen Brief vom Gesundheitsamt, der die Verfügung über eine vor vier Tagen zu beginnende Quarantäne enthielt: Zeitreisen mit dem Gesundheitsamt, warum nicht. Die Verfügung enthielt weder die eigentlich notwendige Arbeitgeberbescheinigung noch hilfreiche Informationen, keine Anlaufstellen (z.B. Einkaufshilfe), keine Frage nach Symptomen oder Kontaktpersonen. Wären nicht der direkte Kontakt zur Mutter, der umsichtige Hausarzt und ihr eigenes Engagement gewesen – ihr Mann wäre drei Tage unwissend zur Arbeit gegangen, die radiologische Praxis hätte ihre Mitarbeiter nicht testen können. Reines Glück verhinderte, dass niemand zu Schaden kam. Das Gesundheitsamt hat sich auch zu keinem späteren Zeitpunkt gemeldet, wobei die Infektionslage relativ entspannt war, Überlastung war sicher kein Problem.

Nachspiel: Da meine Freundin im Bereich Medizininformation arbeitet, weiß sie vielleicht besser als manch andere, wie gefährlich eine solche Fahrlässigkeit ist. Schlimmer noch, wenn es sich dabei nicht etwa um einen Einzelfall, sondern um die Standardvorgehensweise handeln sollte. Schon deshalb schrieb besagte Freundin umgehend eine Beschwerde an die im Brief als Informationsstelle genannte Mailadresse und schilderte die Vorkommnisse. Diese blieb unbeantwortet und so sah sie keine andere Möglichkeit, als eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu verfassen und alles erneut darzulegen. Gegen Unbekannt unter Angabe der Vorgangsnummer, denn das Schreiben des Gesundheitsamts enthielt (wohlweislich?) keinen Namen. Fast schon nicht erwähnenswert: Diese Beschwerde ist auch nach Monaten unbeantwortet, ob sich etwas an den erwähnten Zuständen geändert hat, bleibt unklar.

Hauptsache Herr Dr. Nießen stellt im Rahmen eines seiner Deutschlandfunk-Interviews fest: „Die Nachverfolgung ist das A und O.

 

Sinnfrage & Fazit

Warum schreibe ich das jetzt? Spielt das nun überhaupt noch eine Rolle? Leider ja. Zum einen sind die Toten tot und die Langzeitgeschädigten langzeitgeschädigt. Die starren Strukturen und die Verantwortungslosigkeit der Kölner Behörden haben ihren Anteil daran, ohne irgendwelche Konsequenzen tragen zu müssen – das Marketing funktioniert.

Zum anderen beginnt sich die Geschichte zu wiederholen. Denn während sich zunächst Frau Merkel und einige Wochen später Herr Lauterbach beim Besuch in Köln vom charmanten Herrn Dr. Nießen erläutern lassen, wie großartig und modern sein Gesundheitsamt funktioniert, steigen die Zahlen. Ersteres bekommt medial große Aufmerksamkeit, letzteres leider nicht. Zumindest nicht in Köln. Während ich das hier schreibe, steigt die Inzidenz in der Stadt unaufhaltsam. Mittlerweile auf den dritthöchsten Wert im ganzen Bundesland – fast doppelt so hoch wie die des Landes NRW und deutlich mehr als doppelt so hoch wie bundesweit. Das ist angesichts der geschilderten Zustände nicht überraschend, die Erkenntnis, dass offenbar nichts dazugelernt wurde, dafür umso bedrückender. Denn wenn die Verantwortlichen in der Politik und den Ämtern keine Kehrtwende schaffen, steht uns ein sehr finsterer Herbst bevor.