Großansicht Anny Bunny weiß, Bonusszene

Anny Bunny Bonusszene

 

Extra gefällig? Hier gibt’s eine kleine Bonusszene, die es nicht ins Buch geschafft hat, aber einen weiteren Aspekt von Annas Leben und Arbeit behandelt. Ich wünsche euch gute Unterhaltung beim Lesen und Eintauchen in die nicht allzu schöne Welt der professionellen Pornografie …!

 

16.07.2013

Gemütlich mit dem Laptop auf dem Schoß vorm TV musste ich die Mail tatsächlich zwei Mal lesen, um zu verstehen, welche Bedeutung sich daraus für mich ergab. Und dann noch einmal, um sicherzugehen. Dabei war der Inhalt denkbar einfach:

 

Hey Anny, mein Test letzte Woche war leider positiv. Richtige Scheiße. Die Ärztin meinte, ich könnte es beim Dreh schon gehabt haben. Sorry. Ich hoff, du hast Glück. Alles Gute. John

 

Im ersten Moment war ich einfach nur dankbar, dass er mich überhaupt benachrichtigt hatte. Dann begann ich zu rechnen. Der Dreh war sieben Wochen her, sein Gesundheitszeugnis durfte zu dem Zeitpunkt nicht älter als vierzehn Tage gewesen sein – daran hielt ich mich streng. Ein Blick in die Unterlagen verriet: Zehn Tage. Und er hatte recht, er könnte es schon gehabt haben, ebenso wie ich nun, denn sicher ließ sich HIV erst nach sechs Wochen nachweisen. Mein negativer Antikörpertest vor dem letzten Dreh bot also keinen Grund zur Erleichterung. „Ich muss morgen zum Gesundheitsamt und den Test machen“, das war eine Weile der einzige Gedanke, der mein Gehirn beherrschte. Ich erinnerte mich gut an den Jungen, nett, für einen Professionellen, ambitioniert, er hatte vor Energie und Vitalität geradezu gestrotzt. Das Letzte, woran man bei seinem Anblick denken konnte, war Krankheit. Was für ein Blödsinn, schalt ich mich selbst. Natürlich hatte er gesund ausgesehen, wie auch sonst. Die Klischeebilder von abgemagerten, mit schwarzen Flecken übersäten Siechen stammten aus dem Endstadium von AIDS. In Wirklichkeit sah man sehr lange niemandem an, ob er den Tod in sich trug oder wie ansteckend er gerade war. Er würde es nicht einmal selbst fühlen.

Und bei mir wollte sich ebenso wenig eine Empfindung einstellen. Bloß, dem xten Teil von „The Fast and the Furious“ zu folgen, wollte nicht mehr gelingen. Der Rest kam nachts. Von einem auf den anderen Moment blieb mir der Atem weg. Was, wenn ich es hatte? Was würde das für mich heißen? Mal abgesehen davon natürlich, meine Arbeit und damit jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu verlieren. Würde ich unter qualvollen Schmerzen an Krebs sterben? Nach Luft japsend an Lungenpilz krepieren? Wer würde bei mir sein und meine Hand halten? Marie?

An meinem letzten Geburtstag war sie in Urlaub gewesen und hatte mir ein Geschenk geschickt. Einen erfrischenden Liebesroman in Pastellfarben. Ich mochte eigentlich keine romantischen Geschichten, aber immerhin hatte sie daran gedacht, dass ich gerne las, deshalb beschloss ich, mich trotzdem zu freuen. Doch die beiliegende Karte bereitete mir schlaflose Nächte. Auf der Vorderseite war ein dicker, knuddeliger Panda zu sehen, der mich anlächelte, auf der Rückseite stand, neben dem Üblichen:

Ich weiß, es ist nicht dasselbe, aber vielleicht gefällt er dir trotzdem!

Ich wusste sofort, worauf sie sich bezog, und gerade das ließ mich verstört zurück.

Bei unserem letzten Telefonat, Monate zuvor, hatte ich ihr von einem meiner seltenen Besuche in einer Bar berichtet. Ich hatte alleine an der Theke gesessen, Mojito getrunken und die Menschen beobachtet, einfach nur so, um etwas anderes zu sehen als die abgetakelten Wände meiner winzigen Wohnung. Dabei war es unmöglich, die Gruppe zu übersehen, die rund um eine junge Frau Geburtstag feierte. Zwei Handvoll gut gelaunter Freunde waren eingetrudelt, hatten einen der Tische mit Baguette und Dip, Salat, Frikadellen, Kuchen und Geschenken beladen und ihr ein Ständchen gesungen. Es wurde ausgepackt und gelacht, zwischendurch ein albernes Spiel gespielt und sich unterhalten, sie sichtlich verlegen inmitten der vielen Aufmerksamkeit, aber ebenso glücklich. Einer der Gäste hatte einen puffig-pinken Folienballon in Pandaform mitgebracht, der grinsend über allem schwebte. Ich hätte nicht wehmütiger und neidischer sein können, so sehr ich dem Geburtstagskind sein Glück gönnen mochte.

All das hatte ich Marie berichtet, von der Wärme, Nähe und dem Spaß, den die Gruppe ausgestrahlt hatte, wie viel Mühe sich alle gaben und wie gern ich insgeheim selbst eine solche Feier erlebt hätte. An meinem Geburtstag saß ich, Fertigpizza und eine kleine Flasche Wodka vor mir, am Schreibtisch, starrte die Karte mit dem kitschigen Bild an und verzweifelte fast. War das zynisch gemeint? Wollte sie mir sagen, dass ich mich besser damit zufriedengeben sollte? Marie war so schlau, so empathisch, konnte es wirklich nett gemeint sein? Ja, beschloss ich, alles andere war Paranoia. Oder hatte ich sie verärgert? Nein, das hätte sie mir bestimmt anders mitgeteilt, sicher nicht auf eine so hinterlistige Art. Oder? Immerhin meldete sie sich nach wie vor selten und so sehr ich hoffte, dass es wieder nur eine stressige Phase in ihrem Leben war, es bereitete mir Sorgen. Mehr noch, dass sich auch dann nichts geändert hatte, als ich ihr vorsichtig anzudeuten versucht hatte, dass sie mir wirklich fehlte. Plötzlich hatte ich Angst, sie nicht mehr zu kennen. Schlimmer noch: Dass Marie gar nicht mehr wollte, dass ich sie kannte.

Das ging so nicht – ich musste mich zusammenreißen. Auf dem Weg zum Späti für die zweite Runde nahm ich das unselige Stück Post mit, warf es in die Papiertonne und beschloss, mich weniger mit unsinnigen Träumen zu beschäftigen. Andere hatten andere Leben, ich hatte eben meins. Darin gab es sicherlich auch gute Dinge. Bis heute war es mir recht erfolgreich gelungen, diese Sichtweise aufrechtzuerhalten.

Doch was in den letzten Stunden nicht passiert war, brach nun bei der Erinnerung an diese Situation über mich herein. Von Furcht und Trauer überwältigt lag ich zusammengerollt unter der Bettdecke, krampfhaft schluchzend bis zur Atemnot. Dabei wusste ich nur eins: Ich wollte nicht mutterseelenallein in einem kalten Krankenhauszimmer sterben.

Drei Tage später erhielt ich die Benachrichtigung des Gesundheitsamts: Negativ. Und nun war es genau umgekehrt – jede Freude blieb aus. So war das also. Glück gehabt. Ich verbot mir das „diesmal“. Schön. Weiter im Text.

 

Interesse geweckt? Hier geht’s zum Roman:

Anny Bunny